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Jetzt reden wir! Die Bedeutung von Zeitzeugen für die Geschichte

Horst Schreiber

Die Stadt Innsbruck war bis Ende der 1970er Jahre mit vielen verarmten Familien konfrontiert. Ihnen wurden die Kinder weggenommen und in Heime verfrachtet, wo sie meistens eine noch desolatere und vor allem gewalttätige Situation erwartete als in den prekären Lebensverhältnissen zuhause. Nach Jahren des Nichtstuns und Desinteresse der Behörden begann ab 2010 eine Aufarbeitung der unrühmlichen Geschichte. In seinem neuen Buch "Restitution von Würde" beschreibt der Historiker Horst Schreiber Kindheiten und Gewalt in diesen Heimen. Und es entstanden dabei auch 14 eindrückliche Videoporträts ganz unterschiedlicher Betroffener.

Inhalt des Buches
Systematische Menschenrechtsverletzungen an Kindern und Jugendlichen konnten bis vor wenigen Jahren ungeahndet in Heimen des Staates, der Länder und katholischer Orden in ganz Österreich geschehen. Der Autor dokumentiert und analysiert erstmals die städtischen Heime, sowie die damalige Praxis der Fremdunterbringung in Institutionen und Pflegefamilien. Er zeigt die Ursachen der Heimeinweisung wie Armut, sozialer Stand und Familienhintergrund auf. Besondere Aufmerksamkeit gilt auch dem Elend in den Unterkünften, dem Erziehungspersonal, den lange Zeit verheerenden Arbeitsbedingungen und der Frage, wie das gewalttätige Handeln so vieler zu erklären ist. Die Betroffenen erzählen vom Aufwachsen im Abseits, ihrem täglichen Kampf gegen Übergriffe aller Art und vom Fortleben der Gewalt in ihren Körpern.


Die Bedeutung der Videoportraits
Zeitzeugen, die ihr Schweigen brechen, brechen damit auch die Macht der Täter. Durch Traumatisierung, Schuldzuweisung und Scham wagten die wenigsten Opfer je über ihre Geschichte zu sprechen. Sie blieben in einer Art Zwangsjacke des Schweigens eingesperrt. Jede/r Betroffene, der/die zu reden wagt, befreit sich ein Stück weit aus diesem Kerker.

Was uns die Stadt Innsbruck voraushat
Seit 2011 besteht eine von der Stadt eingesetzte, unbürokratische Opferschutzkommission, die Horst Schreiber 2010 anregte, an die sich die ehemaligen Heimkinder wenden können, damit sie in einer kleinen Gruppen von Fachpersonen gehört und verstanden werden. Alle ehemaligen Heimkinder haben Anrecht auf eine finanzielle Unterstützung wegen des unverschuldeten Leids und des an ihnen begangenen Unrechts. Die Bürgermeisterin bezeichnet diesen Obolus nicht als Wiedergutmachung, weil das Ausmass des verursachten Elends nie mit Geld abgegolten werden kann, sondern als Gestezahlung. Diese Haltung der verantwortlichen Politiker ist die einzig wahrhafte, weil sie die Würde der Opfer achtet.

Links: heimkinder-reden.at / heimerziehung.at

Text: Walter Zwahlen

   
    Buch:
Horst Schreiber
Restitution von Würde
Kindheit und Gewalt in Heimen der Stadt Innsbruck
90-minütige Film-Dokumentation auf DVD:
Jetzt reden wir!
Ehemalige Heimkinder erzählen