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Interview mit Peter von Matt

Mutige, kritische Schweizer sind und waren stets eine Minderheit. Wer das offizielle Bild der Schweiz korrigierte, auf Mängel und Defizite hinwies und sich durch einen unabhängigen Geist auszeichnete, machte sich in der Regel kaum beliebt. Dass es diese Stimmen nach wie vor braucht, zeigt Peter von Matt in seinem neusten Werk „Das Kalb vor der Gotthardpost“. Für dieses Werk wurde Peter von Matt am 10. November 2012 mit dem Schweizer Buchpreis ausgezeichnet.

netzwerk-verdingt: Wie war das Echo auf Ihre Gotthelfwürdigung im Buch „Tintenblaue Eidgenossen“?

Peter von Matt: Viele haben den Versuch, über Gotthelf ohne die üblichen Klischees und Verharmlosungen zu schreiben, sehr geschätzt. Es hat auch Leute gegeben, die dadurch Gotthelf für sich erst richtig entdeckt haben.

n-v.: Nach C.A.Loosli gab es nur ab und zu kritische Beiträge von Schweizer Schriftstellern zum dunklen Kapitel der Fremdplatzierung der Schweiz. Woran liegt das aus Ihrer Sicht?

P.v.M.: Die offizielle und urbane Schweiz hat die ländlichen Gegenden gerne verklärt. Man glaubte, dort sei die Welt noch in Ordnung, und alles Übel hause in den Städten. Diese Vorstellung gehörte sogar zum Selbstverständnis der Schweiz. Daher wollte man vieles, was dort schlimm war, gar nicht wissen. Und Schriftsteller, die einschlägige Sachkenntnisse hatten, gab es ohnehin nur wenige.

n-v: In Ihrem neusten Werk weisen sie deutlich darauf hin, dass immer noch überholte Mythen die Schweiz bestimmen und sie auch behindern. Sehen Sie Wege aus dieser Sackgasse?

P.v.M.: Eine Sackgasse ist es nicht. Es geht um den grossen, langsamen Prozess des gemeinsamen Nachdenkens über die Schweiz. Dabei müssen die Überlieferungen immer neu überprüft werden. Sie sind ja nicht einfach alle falsch, und auch in den Sagen stecken Wahrheiten, wenn man sie richtig liest. Aber man darf nicht weiterhin alles Alte nachbeten.

n-v: Sie vertreten Ihren Standpunkt oft mit markigen Worten. Die offizielle Schweiz aber zieht es vor, zu beschönigen, sich reinzuwaschen, abzuwiegeln, Unangenehmes auszusitzen. Sind unsere Volksvertreter in den Parlamenten lernunfähig?

P.v.M.: Man darf keine Volksgruppen pauschal abstempeln. In den Parlamenten wird vielfach hart gearbeitet. Das Problem liegt mehr in der politischen Propaganda. Da werden gegen besseres Wissen Tatsachen verdreht, andere verheimlicht, weil man glaubt, das Volk wolle es so. Ich bin aber überzeugt, dass das Volk am liebsten die klare Wahrheit hat.

Interviewfragen: Walter Zwahlen

Kurzbiografie:
Peter von Matt, geboren 1937, wuchs in Stans auf und war bis 2002 Professor für Neuere Deutsche Literatur an der Universität Zürich. Er hat viele Bücher zur Literatur und Kulturgeschichte geschrieben.

Werke:
Buch Das Kalb vor der Gotthardpost