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Ungerecht, weil selbstgerecht
oder Leichen im Keller der Macht

Justitia

Mächtigen und deren «Handlanger» fehlten in der Regel von Beginn der Geschichte weg die kritische Distanz zu sich selbst und zu ihrem Tun. Ohne die nötigen zu den herrschenden Bedingungen, zu den festgeschriebenen, selten wirklich durchdachten Regeln, den geltenden Gesetzen in einer Gesellschaft ist jegliches politische Wirken von fortdauernder Blindheit bis heute begleitet. Bestes Beispiel dafür ist in jüngster Zeit die weitgehend illegale Praxis der Administrativjustiz, welche zum Leidwesen von Hunderttausenden von Einzelschicksalen noch bis 1981 praktiziert wurde. Nach Jahrzehnten der Rechtswillkür brauchte es eine unabhängige Expertenkommission (UEK), welche als Forschungs- und Aufarbeitungsinstrument von 2016 bis 2019 aktiv war. Es entstanden wissenschaftliche Studien zu unterschiedlichen Themen, welche der Chronos Verlag in elf Bändern publizierte. Diese finanziellen Aufwendungen zur Korrektur der politischen, administrativen und juristischen Fehlentscheide sowie mehrheitlich illegalen Zwangsversorgungen beliefen sich auf 9.9 Mio. Franken.
Mehr zur UEK hier und hier.


Geschichtlicher Hintergrund:
Bis zur Gründung der meisten europäischen Nationalstaaten gab es einen Flickenteppich unterschiedlichster Monarchien, mit selbstherrlichen Regenten, die eigenmächtig verfügten, wo’s langgeht. Die Entscheidungsfindung unter Einbezug unterschiedlicher Stimmen waren seltener als Preziosen. Erst Hunger, Arbeitslosigkeit, Wirtschafts-, Gesellschafts- und Ernährungskrisen sowie Kriegselend produzierten genügend Druck, damit überhaupt Änderungen in Gang kamen. Der Widerstand gegen allzu viel Neuerungen blieb jedoch zäh. War man sich doch seit Jahrhunderten gewohnt, alles zu verteufeln, was nicht ins Selbstgestrickte passte, die eigene Position oder die Privilegien bedrohte.

Revoluzzer, Ruhestörer, hartnäckige Kritiker mussten auf bewährt Art gebodigt werden. Unangepasste, Aufmüpfige, Kritische, angeblich Müssiggänger, scheinbar erblich Belastete oder sonst wie Gefährdete galt es mit Zwang und Disziplin in die Schranken zu weisen. Diese Praxis und die rigide verbundene Denk- und Handlungsweise hatten Konsequenzen für Hunderttausende von Betroffenen. Heim-, Pflege-, Waisen- und Verdingkinder, Bettler, Fahrenden, Vagabunden, Kleinkriminellen, Freiheitsliebenden, Ledigen, Verwitweten, angeblichen Arbeitsscheuen etc.

Die Obrigkeit schuf die entsprechenden Anstalten, um die grosse Zahl der Missliebigen zu versorgen und zum Schweigen zu bringen. Die wirklichen Ursachen interessierten kaum bis gar nicht, geschweige denn mögliche Auswege oder Alternativen zur Misere. Das Urteil, meistens ein Vorurteil, galt. Ob der Entscheid gerecht war, stand kaum je zur Diskussion. Man isolierte Menschen, riss zwischenmenschliche Bindungen auseinander, trieb Individuen weiter in den Abgrund, in die Hoffnungslosigkeit, zog Gefährdeten den Boden unter den Füssen weg, statt sie zu unterstützen. Unrecht wurde zum Gewohnheitsunrecht oft unter Missachtung der Gesetze. Die weitgehend illegale administrative Praxis wurde zur Festschreibung einer fragwürdigen Norm.

Die Behörden handelten im Widerspruch zur Verfassung und am humanitären Gedanken sowie an der geltenden Rechtsordnung vorbei. Elementare Grundrechte blieben Makulatur. Erschwerend kam noch hinzu, dass die lange sehr unausgewogene Parteienlandschaft eine differenzierte Entwicklung der Demokratie sabotierte. Im Machtgefüge herrschte geistige Inzucht.

Diese Hypothek ist auch heute keineswegs zu Ende. Und Transparenz ist in der aktuellen Politik immer noch eine heisse Kartoffel. Die Blindheit solcher Strukturen führt zwangsläufig zu totalitären Verhältnissen. Jegliche Form von Diktatur oder Tyrannei untergräbt die Rechtsstaatlichkeit und Menschenwürde. Statt Vielfalt wird die Bandbreite immer enger oder bleibt beschränkt. Teilhabe gibt es nur für Wenige. Weil die Selbstgerechtigkeit stetig Feinbilder heraufbeschwört, wachsen Isolation, Abwehr und Zensur. Andersdenkende werden gebrandmarkt und ausgegrenzt, Abweichler blossgestellt. Bis zur physischen Vernichtung ist es dann nur noch ein kleiner Schritt. Und willige Vollstrecker sind stets vorhanden.

Grosser Verlierer ist vorab die Bildung. Denn selbständig denkende, aufgeklärte, unabhängige Bürger gefährden die Herrschaft. Es muss verhindert werden, dass Entwicklung, Einsicht, Kritik und alternative Denkmodelle Fuss fassen. Solche politischen Fehlentscheide müssten jedoch zum Wohl eines humanitären Staates korrigiert werden, bevor sie zu historischen Fehlentwicklungen führen. Auch die Tyrannei der Mehrheit ist kein Garant für Rechtsstaatlichkeit oder gute Regierungsführung.

Text: Walter Zwahlen


Ein wichtiges Buch dazu, war 2010 das Werk von Dominique Strebel, Weggesperrt.

 

Drei Beispiele aus der Bücherreihe der UEK.