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Robert Seethaler: Ein ganzes Leben

Robert Seethaler

Eigentlich ein unspektakuläres, vergangenes Leben irgendwo in der Provinz, das leicht hätte vergessen gehen können. Die Biographie eines beharrlichen, selbstgenügsamen einfachen Bürgers, der den Widrigkeiten zum Trotz sich behauptete, sich eine eigene Welt schuf.

Kurzinhalt:
Robert Seethaler erzählt die Geschichte von Andreas Egger, der nach dem Tod der Mutter mit etwa vier Jahren aus Wien zu ihrem Schwager, dem Grossbauern Hubert Kranzstocker, in den österreichischen Alpen ziehen muss. Roberts genaues Geburtsdatum ist nicht bekannt. Er wurde wahrscheinlich 1898 unehelich geboren. Hubert ist ein unbarmherziger Mann, der den Buben nur behält, weil dieser ein kleines Säckchen mit ein wenig Geld um den Hals trägt und weil er eine weitere Arbeitskraft gut gebrauchen kann. Hart arbeiten, beten, täglich Prügel empfangen prägen seine Kindheit als Verdingkind.

Als Andreas 12 Jahre wird, eröffnet eine Schule im Dorf. Hier lernt der Junge lesen und schreiben, ein wenig rechnen. Er ist langsam, aber beharrlich und er wächst trotz seiner Behinderung, welche er dem jähzornigen Schwager seiner Mutter verdankt, er hinkt, zu einem starken Jugendlichen heran.

Im Alter von 18 Jahren wagt er es, sich dem Bauern und seinen Schlägen entgegenzusetzen und verlässt den Hof. Er wächst zu einem gefragten Knecht heran und schliesst sich als junger Mann einem Arbeitstrupp an, welcher im Auftrag einer Firma die ersten Seilbahnen baut. Es wird ein boomendes Geschäft im Alpenraum. Andreas nimmt jede Arbeit an, ist fleissig und genügsam. Mit knapp dreissig Jahren kann er sich ein kleines Grundstück pachten, auf dem er sich eine einfache Hütte baut. In diese scheint sogar das Glück einzuziehen: Marie, die Magd vom Dorfwirt, wird seine Frau. Aber in einer Winternacht verschüttet eine Lawine das Haus und einen Teil des Dorfes. Marie ist eine von drei Toten des Geschehens.

Im November 1942 wird Robert zum Kriegsdienst einberufen. Zwei Monaten an der Front folgen acht Jahre in russischer Kriegsgefangenschaft. Als er zurückkommt, sind die Hakenkreuzfahnen verschwunden, und seine ehemalige Bergbahnfirma ging inzwischen Konkurs. Er macht nun das, was er schon als junger Mann gemacht hat: Tagelöhner für Gelegenheitsarbeiten aller Art. Eher durch Zufall wird er Bergführer. Andreas Egger ist jemand, der niemals klagt, weil er keine Ansprüche hat. Eine beeindruckend schlichte Geschichte, die ein Leben erzählt, das auf den ersten Blick arm an Ereignissen war. Und doch schwingt im ganzen Text eine erstaunliche Fülle und Tiefe mit.

Text: Walter Zwahlen


Ein ganzes Leben, Robert Seethaler, Roman, Goldmann Verlag, 2016

Arbeiter beim Bau einer Seilbahn (l.) und Bild des ersten Sessellifts im Tirol (r.).