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Geschichte und Neuanfang des Schulheims Ried

Gruebe

Das 19. Jahrhundert gilt punkto Fremdplatzierung als das Heim- und Anstaltsjahrhundert, weil es wie nie zuvor und auch später nicht zu zahlreichen Heimgründungen kam. Viele dieser Heime bekamen den Namen Pestalozzis, des guten Hirten oder des heiligen Joseph. Obwohl es zahlreiche philanthropische Bewegungen waren, welche diese Stätten schufen, war der in den diesen Heimen herrschende Geist mit wenigen Ausnahmen totalitär und spottete den Intentionen der Namensgeber. Die Strafen drakonisch, die Überwachung paranoid, die Bildung dürftig. C.A.Loosli war mit dem Buch „Anstaltsleben“ 1924 der erste Mahner gegen dieses Gulagmentalität. Das 1825 gegründete Schulheim Ried hat kürzlich ein Buch zu seiner Geschichte herausgegeben, welche ein exemplarisches Stück schweizerischer Bildungsgeschichte darstellt. Ein wichtiges, kritisches Buch, das auch praktikable Schritte aus der Heimmisere in eine für die Betroffenen gerechtere Praxis aufzeigt.

Grube, Buch
Gruebe
, Autorenkollektiv, Edition eigenArt, 2013

Die Geschichte des Schulheims Ried im bernischen Niederwangen geht zurück auf die 1825 gegründete Rettungsanstalt „Auf der Grube“.
Der Journalist und Publizist Fredi Lerch zeichnet in seiner Chronik über 188 Jahre die Entwicklung der Anstalt vom religiös geprägten Idealismus der Gründer bis zum starren Pragmatismus der jeweiligen Heimleiter, welche die dringenden pädagogischen Reformen im 20. Jahrhundert vehement abwehrten.

Der Journalist Patrik Maillard pörträtiert drei Jugendliche, welche die Anfänge des neu erprobten Wegs des Schulheims Ried miterlebten.

Zwei Erzählungen der Schriftstellerin Marina Bolzli und des Schrifstellers Gerhard Meister erinnern daran, dass in dieser Anstalt „Heimeltern“ Generationen von Buben nach ihrem eigenen Weltbild geformt haben.

Der Sozialwissenschaftler Wolfgang Hinte plädiert für eine neue Sozialpädagogik, welche eine zeitgemässe massgeschneiderte Unterstützung der Kinder und ihren Familien in deren Lebensraum ermöglicht. Sie folgt dem Konzept der Sozialraumorientierung mit flexiblen Lösungen. Die Versorgung in Institutionen auf unbestimmte Zeit und mehr oder weniger starren Systemen soll definitiv Geschichte bleiben und endlich aufgegeben werden. Nicht die Auslastung eines Hauses oder das Aufrechterhalten von bürokratischen Verfahren dürfen weiter das Richtmass sein. Noch weniger die Fixierung auf die Immobilie Heim. Leider dominiert in der Praxis noch immer der Grundsatz, dass je länger ein Kind bei dem jeweiligen Leistungserbringer verbleibt, desto länger fliesst Geld. Der Benachteiligte ist nur solange für das Heim profitabel, wie er benachteiligt bleibt. Hier gilt es umzudenken und umzuhandeln hin zu gerechteren Lösungen für den Einzelnen.

Buchbesprechung: Der Bund, 30.05.2013