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Interview mit Peter Reichenbach, Produzenten des Spielfilms „Der Verdingbub“, C-Films AG Zürich

Filmplakat

Für den Verein netzwerk-verdingt war seit Jahren klar, dass das Thema Verdingkinder als Geschichte unbedingt auch den Weg ins Kino finden sollte. Mit dem Spielfilm „Der Verdingbub“ (Kinostart 3. November) wurde dieser Wunsch Wirklichkeit. Damit wird die Thematik Fremdplatzierung in der Form der Verdingung der Schweizer Bevölkerung auf einer grösseren Plattform bewusst gemacht. Netzwerk-verdingt hat mit dem Produzenten dazu ein Hintergrundgespräch geführt.

n-v: Wie kamen Sie auf das Thema Verdingkinder als Spielfilmprojekt?
Peter Reichenbach: Im Dezember vor 8 Jahren sah ich im Fernsehen einen Dokumentarfilm über Verdingkinder. Seither hat mich dieses Thema nicht mehr in Ruhe gelassen, weil es direkt meine Generation betrifft, und ich selber unter weniger glücklichen Umständen noch hätte verdingt werden können. Deshalb war ich auch schockiert,wie wenig ich darüber wusste. Mein Grossvater war Historiker, und ich kenne die Schweizer Geschichte des 20. Jahrhunderts eigentlich ziemlich gut. Aber ausser dem bekannten Begriff Verdingkind habe ich darüber kaum etwas gewusst. Dabei ist diese schlimme Zeit ja noch nicht sehr lange her. Ich begann daraufhin ernsthaft zu recherchieren, besorgte mir diverse Publikationen, Bücher, Autobiografien. Erstaunt nahm ich auch zur Kenntnis, dass diese Thematik im Schweizer Film und besonders im Spielfilm bisher nicht aufgetaucht ist. Die Verdingkinderproblematik ist doch Teil unserer Geschichte und gehört deshalb ins Kino. Ich entdeckte, dass ich noch einen weiteren Bezug durch meinen Vater hatte, der als Hauptmann während des Zweiten Weltkriegs Dienst leistete. Sein „Offiziersputz“ war, wie sich später ergab, ebenfalls ein Verdingkind gewesen, der Schreckliches erlebt hatte. An der Beerdigung meines Vaters erzählte er mir, dass mein Vater die erste Person gewesen sei, die ihn wie einen Menschen behandelt hätte. Und dass er ihm nach dem Krieg auch half, dass er am Kerenzerberg einen kleinen Bauernhof übernehmen konnte. Als ich schon am Drehbuch arbeitete, gestand mir ein Klassenkamerad, dass er selber auch während zweier Jahre im Glarnerland verdingt gewesen sei. Ich hatte davon keine Ahnung. Am Anfang stiess ich mit meiner Filmidee auf kein Verständnis, geschweige denn auf Unterstützung. Mir selber war aber klar, dass ich diesen Film machen muss und machen will. Und auch meine Partner in der C-FILMS AG waren dieser Meinung.

n-v: Sie hätten ja auch einen Dokumentarfilm produzieren können. Was bewog Sie, über dieses heikle Thema einen Spielfilm zu wagen?
P. R.: Der Spielfilm steht stellvertretend für viele Schicksale. Im Dokumentarfilm wird die durch Geschichte durch jemanden erzählt. Das hat eine eigene Qualität, da man die Geschichte einer Figur miterleben kann. Natürlich muss es eine gute Geschichte sein, die dem Zuschauer eine Identifikation ermöglicht. Der Spielfilm hat den Vorteil der grossen emotionalen Wirkung. Zusammen mit Plinio Bachmann (Drehbuchautor) Jasmin Hoch (Dramaturgin) habe ich 4 Jahre am Drehbuch zum „Der Verdingbub“ gearbeitet.

n-v: Vom Verein netzwerk-verdingt aus, konnten wir Anfang November 2010 einen Nachmittag lang Ihre Dreharbeiten im emmentalischen Trub mitverfolgen. Dabei stellten wir fest, dass „Der Verdingbub“ ein sehr grosses, anspruchvolles Projekt darstellt, ist es deshalb eine internationale Koproduktion?
P. R.: Jede historische Produktion bedingt höhere Kosten. Weil der Film in den 50er Jahren spielt, muss Alles bis ins kleinste Detail recherchiert und besorgt werden (Kostüme, Requisiten, etc.), damit er authentisch wirkt. Die Finanzmittel in der Schweiz reichen dafür nicht. Deshalb habe ich eine Koproduktion mit Deutschland (dem Bayrischen Rundfunk, dem Südwest Rundfunk, Arte und der ARD Tochter Degeto) auf die Beine gestellt. Als deutscher Koproduzent engagierte sich die Firma Bremedia, welche auch noch die Bayrische Filmförderung dafür begeistern konnte. Das Produktionsbudget beläuft sich auf 4,1 Mio Franken.

n-v: Gibt es neben der Mundartfassung weitere Sprachversionen?
P. R.: Die Originalfassung ist Mundart,. Dann gibt es für Deurtschland eine hochdeutsche, eine französische für Arte, welche dann auch im Fernsehen und im Kino in der Romandie zu sehen sein wird, sowie eine englisch untertitelte Fassung für den internationalen Markt.

Interview: Walter Zwahlen

Peter Reichenbach

Kurzbiografie
Peter Reichenbach wurde 1954 in Zürich geboren. Nach der Matura arbeitete er als Regieassistent. Bei seinem Onkel François Reichenbach sammelte er erste Kino- und Fernseh- Erfahrungen. Von 1977-1980 war er Spielleiter und Regiemitarbeiter an der Frankfurter Oper und den Salzburger Festspielen. Von 1981 – 1989 hatte Peter Reichenbach Wohnsitz in West-Berlin und arbeitete als freier Theater- und Opernregisseur u.a. am Schillertheater, an den Berliner Kammerspielen, Theater der Freien Volksbuhne Berlin, Theater des Westens, an der Frankfurter Oper, Opernhaus Zurich, Oper Bonn, Lyric Opera Chicago, Staatstheater Saarbrucken, Long Beach Opera. Als Filmregisseur realisierte er Filmporträts über den Pianisten Géza Anda und Arthur Maria Rabenalt. Seit 1989 hat er seinen Wohnsitz wieder in Zurich. Bis 1999 arbeitete er als Filmproduzent bei der Condor Films. Im selben Jahr gründete er zusammen mit Peter-Christian Fueter und Edi Hubschmid C-FILMS AG, welche mit den seither realisierten Filmen zahlreiche Auszeichnungen und Qualitätsprämien im In- und Ausland gewann. Peter Reichenbach ist Mitglied der International Academy of Television Arts&Sciences und der Schweizer Filmakademie.

PlakatKurzinhalt: DER VERDINGBUB ist die Geschichte des Waisenkindes Max. Sein grösster Traum ist es, Teil einer "richtigen Familie" zu sein. Aber er wird an eine Bauernfamilie verdingt. Statt Liebe und Anerkennung zu bekommen, wird er wie ein Arbeitstier behandelt und gedemütigt. Durch sein Handorgelspiel schöpft er Mut und bekommt das zum Überleben notwendige Quäntchen Selbstachtung. Als eine neue Lehrerin aus der Stadt sein musikalisches Talent erkennt, darf Max sogar am lokalen Schwingfest vor der gesamten Gemeinde, spielen. Das Glück ist allerdings nur von kurzer Dauer. Eifersucht und Missgunst sind stärker. Als die Lehrerin sich für ihn einsetzt, wird das Leben für Max auf der Dunkelmatte noch schlimmer. Das einzige, was seinen Überlebenswillen erhält, ist die Freundschaft zu Berteli. Das Mädchen ist in einer nahe gelegenen Kleinstadt aufgewachsen. Weil die verwitwete Mutter die Familie nicht ernähren kann, wurden ihr die Kinder weggenommen und an Bauern verdingt. Mit Berteli träumt Max sich in eine Fantasiewelt nach Argentinien. Da schlägt die Brutalität ein weiteres Mal zu. Dank eines unerwarteten Verbündeten schafft Max aber die Flucht und macht sich auf, den Traum von Argentinien Wirklichkeit werden zu lassen; gerüstet mit seiner Handorgel und der Gewissheit: da draussen, in der Welt, kann es nur besser werden.

Homepage: www.verdingbub.ch