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Andreas Neeser: Wie wir gehen

Andreas Neeser

Ein Roman mit realem Hintergrund: die Verdingung von Kindern, Eltern und Grosseltern geben den Kindern und Enkeln einen Weg vor. Die Zweit- und Drittgeneration muss ein Stück weit diesen Fusstapfen folgen, aber immer auch ihren eigenen Weg gehen. Das Buch von Andreas Neeser zeigt diese Verstrickung über vier Generationen auf. Besonders belastend ist die Ausbeutung von Monas Vater Johannes als Verdingbub bei seinem Onkel Robert.

Inhalt:
Mona, die Tochter des ehemaligen Verdingkindes Johannes, versucht, über ein knappes Tondokument Zugang zu ihrem Vater finden. Eine eher selten gewählte Form der Aufarbeitung und Erhellung der Lebensgeschichte einer kargen, traurigen Kindheit. Dazu der mutige Versuch der Tochter, den Menschen verstehen zu wollen, mit dem sie zwar durch Blutsbande verbunden ist. Wo jedoch das Fremde, Trennende, Verschwiegene und Ungesagte fast übermächtig sind. Der Vater, inzwischen 83 Jahre alt und gefangen geblieben in seiner kargen Welt. Auch deshalb, weil er nie zu fragen wagte, es nie lernte. Mona selber nach der Trennung vom Ex-Mann wohnt nun allein mit der heranwachsenden Tochter und steht vor einer neuen beruflichen und privaten Herausforderung. Ihr Verhältnis zum leiblichen Vater ist geprägt von Schmerz, Angst und Distanz. Weil sie die lebenslange Einsamkeit des Vaters spürt, möchte sie Licht in dieses Dunkel bringen. Sie als Tochter ist bestrebt, seine schwierige Kindheit zu verstehen, welche immer noch durch die Vergangenheit belastet ist. Er wurde als Kind früh wie ein Esser zuviel und als billiger Knecht zum Onkel abgeschoben, hatte keine Wahl, bekam kaum Hilfe, und seine mageren Hoffnungen wurden immer wieder enttäuscht. Ein Leben in engen Grenzen als Enttäuschter, das sich als schier unverrück- und unüberwindbar erwies. Und das Mona als sein unmündiges Kind selber als teils rigide Beschränkung erlebte. Oft mit dem Gefühl, dass der Vater, trotz allem Bemühen, nicht erreichbar war. Dazu die für sie selbst fatale Hypothek in ihrer Herkunftsfamilie, dass der ersehnte Bruder tot zur Welt kam. Das Bild einer Schicksalsgemeinschaft, in welcher jede und jeder irgendwie an dieser Vergangenheit krankt.

Würdigung:
Der Autor hat die meisten, bekannten, belastenden Elemente und Tragödien eines willkürlich fremdplatzierten Kindes aufgenommen und diese in seinem Text auch klar gezeichnet. Weiter versuchte er einen aktuellen Bezug zur zeitgemässen Problematik und den Lebensumständen der Nachfahren zu schaffen.

Text: Walter Zwahlen


Wie wir gehen, Andreas Neeser, Roman, Haymon Verlag, 2020
ISBN 978-3-7099-3485-2


Der Autor:
Andreas Neeser, geboren 1964, lebt in Suhr bei Aarau. Studium der Germanistik, Anglistik und Literaturkritik an der Universität Zürich. Von 2003 bis 2011 Aufbau und Leitung des Aargauer Literaturhauses Lenzburg. Seit 2012 freier Schriftsteller. Zahlreiche Buchveröffentlichungen im Bereich Lyrik und Prosa. Für seine vielfältigen literarischen Arbeiten wurde er mehrfach ausgezeichnet.


Verdingbub auf dem Feld.
Foto: Paul Senn Archiv, FFV, Kunstmuseum Bern, Dep. GKS. © GKS.