News

Friedrich Glauser – eine andere Kenntnis der Welt

Friedrich Glauser

Während seinem kurzen Leben war Friedrich Glauser als vielfältiger Autor sehr produktiv. Manche Texte entstanden innert weniger Stunden oder Tage. Viele blieben lange unveröffentlicht. Bei den von ihm aufgegriffenen Themen zeigt sich seine Sensibilität, seine Beobachtungsgabe für kleinste Details, seine visionäre Begabung für künftige Sozialfragen und Kompetenz für die differenzierte Umsetzung in packende Texte. In den Augen der Behörden war und blieb Glauser ein Gescheiterter, weil er sich nicht einordnen liess. Dabei sind viele seiner Schriften auch heute noch aktuell, und für manche Autoren bekamen seine Werke Vorbildcharakter. Nur wenige Zeitzeugen erkannten sein Genie. Die breite Anerkennung seines umfangreichen Werks erlebte Glauser leider nicht mehr.

Biografie:

*4.2.1896 Wien, †8.2.1938 in Nervi bei Genua.
Friedrich Glausers Leben war geprägt vom ständigen Wechsel zwischen Internierung und Entlassung, Entziehungskuren und den Versuchen ein bürgerliches Leben zu führen. Seine Morphiumsucht, die ihn ungefähr seit dem 21. Lebensjahr begleitete, brachte ihn ständig in Konflikt mit den Behörden. Auf Initiative des Vaters wurde er 1917 wegen «liederlichem und ausschweifendem Lebenswandel» verbeiständet und 1918 entmündigt. Von 1921 bis 1923 war er Fremdenlegionär in Algerien und Marokko. Danach schlug er sich als Gelegenheitsarbeiter in Paris und Charleroi (Belgien) durch. Weil er als freier Schriftsteller zu leben versuchte, hatte er ständig finanzielle Probleme. Am Vorabend der geplanten Hochzeit mit der treuen Gefährtin Berthe Bendel, die er seit 1933 kannte, brach er zusammen und starb in den ersten Stunden des 8. Dezember 1938 in Nervi bei Genua.

Würdigung:
Zwischen Flucht und Internierung gab es in Glausers Leben eine Konstante: das Schreiben. «Es ist mir, auch wenn es mir schlecht gegangen ist, immer gewesen, als hätte ich etwas zu sagen, was ausser mir keiner imstande wäre, auf diese Art zu sagen.» Sein Thema waren die «kleinen Leute». Immer wieder beschrieb er Figuren, die keine Chance hatten, als asozial abqualifiziert und durch Verwahr- und Internierungsmassnahmen der Gesellschaft aus den Augen geschafft wurden. Der Einzelne versuchte irgendwie «durchzukommen», scheiterte aber an den Machtstrukturen der Klassengesellschaft. Glauser zeigt Individuen, welche sonst kaum eine Chance hatten, in einem literarischen Werk gewürdigt zu werden. Waisen, Heim- und Verdingkinder, Knechte, Mägde, Psychiatriepatienten, Arbeitslose, Ausgebeutete, administrativ Versorgte, Verurteilte. Friedrich Glauser hat neben seinen Romanen mehr als hundert Erzählungen, Essays, Aufsätze und autobiografische Aufzeichnungen verfasst. Und Glauser war der erste deutschsprachige Schriftsteller, der sich ernsthaft mit dem Kriminalroman auseinandersetzte. Mit seinem Konzept der Atmosphäre hat er das Genre grundlegend erweitert und ihm neue Tiefe gegeben. Seine Krimis stehen am Anfang der Entwicklung dieser Gattung im deutschsprachigen Raum. Glausers Kriminalromane und -erzählungen sind beim Arche Verlag schienen, eine Neuedition des Gesamtwerks haben der Limmat Verlag und der Unionsverlag herausgegeben. Seine Werke wurden in die meisten europäischen Sprachen übersetzt. Einige dieser Krimis wurden erfolgreich verfilmt. Und die Figur des Wachtmeisters Studer wurde zum Modell.

Eine Würdigung Friedrich Glausers verfasste Professor Peter von Matt am 5. Januar 1983 unter dem Titel Fäulnis hinter den Fassaden in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung.

Text: Walter Zwahlen