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Gedenkstätten als aktive Geschichts- und Gesellschaftsorte

Gedenkstätte Mümliswil

Die Auseinandersetzung und Bewältigung der Geschichte zeigt sich auch darin, wie sie vermittelt wird und welche Stellung die Betroffenen darin haben. Lange Zeit waren es Standbilder (Statuen), Büsten in Stein oder Metall, immer auf einem Sockel, einzelne Haudegen auf dem hohen Ross. Von oben herab auf die Untertanen. Oder die Adligen zeigten ihre Vorfahren als Bildergalerie mittels gemalter Portraits. Leisten konnten sich solche «Monumente» nur die Reichen und ausgewählt wurden nur Würdige. Erst viel später stellte sich heraus, dass einige der Gewählten Dreck am Stecken hatten. Eigentlich sollten Gedenkstätten zum Denken anregen, statt zu klotzen und zu glorifizieren. Eine Spurensuche an Beispielen, wie man es anders machen könnte.

Raus aus der Sackgasse

Die Fotografie als Dokumentationsform kam sehr spät. Sie veränderte zunehmend die Sichtweise. Aber solche Blicke für die unteren Gesellschaftsklassen oder Missstände hatten es am Anfang schwer. Nur einzelne Fotografen waren mutig und scheuten das Risiko der Verunglimpfung und seine Folgen nicht. Es bestand viel zu lange ein ungeschriebenes Gesetz, eine kaum hinterfragte Lesart der gesellschaftlichen Repräsentation in Wort, Bild und Auftritt. Eine Zensur und auch Selbstzensur der öffentlichen Darstellung. Viele Museen folgten lange diesem Diktat und leisteten damit der Geschichtsklitterung Vorschub. Obwohl Geschichte ein überaus lebendiger, wilder, dynamischer Prozess ist, blieb die Überlieferung leider über Jahrhunderte ein braves, statisches Konstrukt der einseitigen Auswahl. Das vielfältige kontroverse Geschehen blieb entweder unerwähnt oder auf Details reduziert.

Geschichte sollte bewegen, Einsichten vermitteln, erinnern, was war, Unterschiede und Entwicklungen aufzeigen, Fragen, Diskussionen und Auseinandersetzungen provozieren. Nur Orte, welche dies alles leisten, haben heute noch eine Berechtigung. Die Vereinnahmung und Bevormundung des Bürgers durch vorgefasste Meinungen, Stereotypen oder Mythen dient eher den selbsternannten Volksvertretern, aber nicht dem Volk. Geschichte ist ein dynamisches Geschehen und fordert den Diskurs. Wer sich dieser Auseinandersetzung verweigert, ist denkfaul, scheut die Konfrontation oder zeigt seine konservative Gesinnung.

Zwei Beispiele:
Museo dei spazzacamini und Skulptur im italienischen Val Vigezzo
Museo dei spazzacaminiSeit über 30 Jahren versammeln sich jedes Jahr mehrere hundert Kaminfeger aus vielen Ländern an einem Wochenende August/Anfang September zur Erinnerung an das unrühmliche Schicksal der Kaminfegerbuben aus Norditalien und dem Tessin und als Zeichen der Solidarität.
Link: www.museospazzacamino.it

Gedenkstätte im solothurnischen Mümliswil
Gedenkstätte MümliswilDas ehemalige Kinderheim der Guido Flury Stiftung dient heute als gesamtschweizerische Gedenkstätte für alle Betroffenen von fürsorgerischen Zwangsmassnahmen. Im Gebäude befinden sich eine gut dokumentierte Fotogalerie, eine reichhaltige Bibliothek und neben dem Eingang eine überlebensgrosse Holzskulptur. Im Juni findet jeweils ein grosser Gedenkanlass für die Betroffenen statt.
Links: www.guido-fluri-stiftung.ch
www.kinderheime-schweiz.ch/de
www.netzwerk-verdingt.ch

Text: Walter Zwahlen