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Strafjustiz im 19. Jahrhundert am Beispiel Bernhard Matter

Bernhard Matter

Die Diskussion um die aargauische Strafvollzugspraxis wurde um die Figur von Bernhart Matter vehement geführt. Mit ein Grund war die grosse Popularität Matters in der Bevölkerung. Dazu kamen die zahlreichen Mängel des Verfahrens, welche die damalige Presse aufgriff und in wiederholten Artikeln fast schweizweit bekannt machte. Schon kurz nach seinem Tod wurde seine Hinrichtung durch das Schwert als Justizmord gebrandmarkt. Dies führte bald zu einer Strafvollzugsreform, die wiederum europaweit Beachtung fand. Nold Halders Matter-Biografie ist ein wichtiges Dokument mit vielen Quellen, die ein genaues Bild der damaligen Gesellschafts- und Machtverhältnisse vermitteln.

Inhalt:
Wer als Kind aus der Familie herausgerissen wurde, wer sich wegen einer Notlage in den Augen der Behörden, Institutionen, dem näheren Umfeld oder nicht der Norm entsprechend anders verhielt als üblich, kam schnell in ein schiefes Licht. Blosse Zurechtweisung war dabei noch eine milde Form der Korrektur. Massive Drohungen oder Strafen meistens die gängigen Mittel. Der oder die Betroffene waren je nach Alter und Hintergrund kaum in der Lage, sich dagegen zu wehren. Allein die Machtfülle bestimmte, welche Schritte eingeleitet wurden.

Wer dem Diktat der Fremdbestimmung unterlag, wurde als Erstes aus dem gewohnten Umfeld entfernt. In der Regel ohne die entsprechende Information, noch über die Dauer der Massnahme und den Ort der «Verbannung». Die Zöglinge bekamen eine diffamierende, unvollständige, fehlerhafte und verurteilende Vorgeschichte mit, welche man ihnen aber verheimlichte. Sie hatten sich offenbar fehlerhaft verhalten, kamen aus fragwürdigen Kreisen, waren gefährdet und mussten hart angefasst werden. Ein für viele verhängnisvoller schlechter Start, der sie von Beginn weg als Verlierer einstufte.

Bernhard Matter wurde am 21. Februar 1821 In Muhen im Kanton Aargau geboren und wuchs dort auch auf. Er soll nicht selten die Schule geschwänzt haben. Schon als Knabe war er regelmässig auf Diebestour. Mit 15 Jahren stand er 1836 zum ersten Mal vor Gericht, weil er einen Aarauer Juwelier um vier Goldringe erleichtert hatte. 1841 heiratete er die Näherin Barbara Fischer. Der Chronist vermerkte dazu: «Aber auch diese um sechs Jahre ältere und als verständig geltende Weibsperson vermochte den haltlosen Burschen nicht im Zaume zu halten.» Geschickt verstand er es meist, sich einer Festnahme durch die Polizei zu entziehen. Bei der damaligen Armut gewann Matter viele Freunde, weil er nur Begüterte bestahl, die Beute freigebig verteilte und listenreich floh. Er versteckte sich in Muhen, und die von ihm beschenkten Dorfbewohner gaben seinen Aufenthaltsort nicht preis. Matter unternahm seine Einbrüche und Diebstähle meist im Alleingang oder manchmal als Kopf einer Bande. Allmählich machten er und seine Helfer fast das ganze Schweizer Mittelland unsicher. Neben seiner Rolle als Robin Hood pflegte er viele Frauenbekannt- und Liebschaften. Matter wurde schliesslich zu 16 Jahren Zuchthaus (Kettenhaft) verurteilt, brach aber nach kurzer Zeit aus der Strafanstalt in Baden aus und setzte seine Diebeszüge fort. Nach einer erneuten Gefangennahme sollte er eine 20-jährige Haftstrafe ab 1851 im Gefängnis in Lenzburg verbüssen, floh aber auch dort wieder. Kurz darauf wurde er wieder festgenommen und in der Festung Aarburg untergebracht. Nach drei misslungenen Ausbruchsversuchen stellte er einen Antrag zur Versetzung in eine ausländische Strafkolonie. Sogar der Bundesrat war dafür, hatte aber bei der Aargauer Regierung keinen Erfolg. Am 11. Januar 1853 während einer Sturmnacht gelang ihm sein Meisterstück: Nach mehrwöchiger Vorbereitung «verliess» er das bislang ausbruchsichere Zuchthaus in Aarburg. Am Neujahrstag 1854 wurde er in der Herberge Teufenthal entdeckt und erneut festgenommen. Die zuständigen Richter verurteilten den «Staatsfeind Nr. 1» am 15. April zum Tode. Ein letzter Ausbruchsversuch misslang, und sein Gnadengesuch wurde, nachdem auch das Obergericht das Urteil bestätigt hatte, vom Aargauer Grossen Rat abgelehnt. Am frühen Morgen des 24. Mai 1854 wurde der Volksheld vor über 2000 Zuschauern in Lenzburg aufs Schafott geführt und geköpft. Die anderen Kantone hatten bereits früher das Todesurteil abgeschafft. Heute ist kaum nachvollziehbar, wie jemand, der nie einen Menschen verletzt, geschweige denn getötet hatte, zum Tode verurteilt werden konnte.

Text: Walter Zwahlen

Oben: Buch «Leben und Sterben des berüchtigten Gauners Bernhart Matter», Nold Halder, Sauerländer Verlag.

Oben rechts: Comic-Bände «Matter» und «Matter entZWEIt» von Reto Gloor und Markus Kirchhofer.

Unten rechts: Das Elternhaus von Bernhard Matter, der Gasthof Bären in Muhen.

Bernhard Matter in Kunst und Literatur:
Der Berner Liedermacher Mani Matter hat seinem Namensvetter das Chanson Dr Bärnhard Matter gewidmet.
Reto Gloor und Markus Kirchhofer schildern das Leben von Bernhard Matter in zwei Comic-Bänden, Matter und Matter entZWEIt.
Der in Kanada lebende Schweizer Autor Kurt Hutterli verfasste zwei Stücke über Matter: Ein Schauspiel Das Matterköpfen (uraufgeführt 1978) und ein Dialekttheaterstück Gounerbluet (uraufgeführt 1992).
Markus Kirchhofer schrieb das 2004 beim Elternhaus Bernhart Matters zu Muhen uraufgeführte Freilichtspektakel Bärehunger.
2012 schrieb Markus Kirchhofer das letzte Stück der Reihe: Bernhart Matters letzte Stationen – Eine sechsstündige Carfahrt ab Restaurant Bären Muhen – Herberge Teufenthal – Refenthal Gränichen – Rathaus Aarau – Fünflinden Lenzburg – Justizvollzugsanstalt Lenzburg.
Kurt Hutterli: Gaunerblut. Das Leben des Ein- und Ausbrecherkönigs Bernhart Matter posthum von ihm selbst dargestellt und mit Materialien aus der Sammlung seines Schreibers ergänzt. Limmat, Zürich 1990, ISBN 3-85791-174-3.